Eine Radtour durch Kempten im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche 2025
Im September machte der Freundeskreis Lebenswertes Kempten (FLKE) eine besondere Radtour durch die Kemptener Innenstadt: Gemeinsam mit Gästen aus Politik und Verwaltung nahmen wir ausgewählte Gefahrenstellen unserer Aktion „Sicher mobil in Kempten“ unter die Lupe.
Unserer Einladung gefolgt sind Oberbürgermeister Thomas Kiechle, die drei Oberbürgermeister-Kandidaten für die kommende Kommunalwahl – Dominik Tartler (parteilos), Katharina Schrader (SPD) und Christian Schoch (Freie Wähler), Stadtrat Julius Bernhardt, Mobilitätsmanager Stefan Sommerfeld, Tiefbauamtsleiter Markus Wiedemann, Baureferent Tim Koemstedt sowie Annette Rampp von den Altstadtfreunden. An den „Hotspots“ wollen wir mit unseren Gästen ins Gespräch kommen und diskutieren: Wo gibt es problematische Stellen für Fußgänger und Radler? Und wie können wir die Aufenthaltsqualität und die Verkehrssicherheit in Kempten spürbar verbessern?
Startpunkt der Tour ist der Hildegardplatz, der in unseren Augen – bis auf die bekannten Kritikpunkte wie zu wenige Bäume, Autoposer, zu viel Autoverkehr an Markttagen – ein positives Beispiel ist, wie das Miteinander von PKW, Fußgängern und Radfahrern gelingen kann. Wir regen an, die minimalinvasive Einbahnstraßenregelung an Markttagen auszuweiten und über weitere verkehrsberuhigende bzw. -eindämmende Maßnahmen nachzudenken. Schließlich ist der Kemptener Wochenmarkt mit seinen Kaffee- und Essensständen ein beliebter Treffpunkt für Einheimische und Touristen und wäre ohne Autochaos wesentlich attraktiver.

Vom Hildegardplatz aus radeln wir durch die Salzstraße bis zum Hotel Peterhof. Um die Teilnehmer*innen der Radtour zu einem Perspektivenwechsel anzuregen, dürfen sie Rollenkärtchen ziehen und die Verkehrssituation aus den Augen ihrer fiktiven Persönlichkeit beurteilen. So stellt Oberbürgermeister Kiechle als „älterer Herr mit Rollator“ fest, dass die Salzstraße ganz schön eng, uneben und stark befahren ist. Ähnlich äußert sich Tiefbauamtsleiter Wiedemann als „Frau mit Kinderwagen und zweitem Kind“. Und Christian Schoch fragt sich als „Tourist“, wo er denn hier gelandet ist und wo es in die Innenstadt geht. Der „Einkaufende/Flaneur“ stellt fest, dass es zwar nette kleine Läden gibt, die Salzstraße aber so gar nicht zum Flanieren einlädt und er zum Shoppen doch lieber in die Fußgängerzone geht. Auch die extrem kurzen Grünphasen für Fußgänger werden thematisiert. Zu unserer Freude haben alle sichtlich Spaß daran, in ihre Rollen zu schlüpfen und die Stadt einmal aus anderen Augen zu sehen.

Dann schwingt sich der Tross wieder aufs Rad, wobei sich jeder seinen eigenen Weg über die Kreuzung Salzstraße/Lindauerstraße in Richtung Forum suchen muss. Prompt wird Baureferent Koemstedt auf der Geradeausfahrer-Spur von einem ungeduldigen Autofahrer angehupt, was für einiges Schmunzeln bei den Mitradlern sorgt – und für Gesprächsstoff: Auf welche Spur soll man sich als Radfahrer überhaupt einfädeln, um geradeaus in die Mozartstraße weiterzufahren?

Auf dem Vorplatz des Forums tauscht sich die Gruppe darüber aus, wie man sich als Radfahrer auf der Route von der Salzstraße in die Mozartstraße gefühlt hat; die Teilnehmer dürfen Schulnoten von 1 bis 6 verteilen. Diese liegen – wenig überraschend – größtenteils zwischen 4 und 5. Prekär ist die Strecke vor allem, weil Autofahrer, die in die Immenstädter Straße abbiegen, in Konflikt mit geradeaus fahrenden Radlern kommen. Auch die enge Spur ab dieser Abzweigung – mit teils extrem knapp überholenden PKW – ist für bergauf fahrende Radler eine Herausforderung. Angesichts des kahlen August-Fischer-Platzes wird außerdem darüber diskutiert, was „lebenswerte Stadt“ eigentlich bedeutet: Mehr Bäume? Weniger Lärm? Weniger Verkehr?

Anschließend geht es die Bahnhofstraße bergab bis zum oberen Ende der Fußgängerzone. Auch hier werden wieder Rollenkärtchen verteilt; der Blick als „Rollstuhlfahrer“, „Radfahrer“, „Einkaufender/Flaneur“ oder „Tourist“ auf das jähe Ende der Fußgängerzone zeigt auf, dass die Verkehrssituation hier alles andere als optimal ist. Statt gemütlich auf der breiten Bahnhofstraße zum Forum zu schlendern, sieht man sich als Fußgänger oder Rollstuhlfahrer mit aus allen möglichen Richtungen kommenden und abbiegenden Autos konfrontiert und muss versuchen, in dem Durcheinander heil über die Straße auf den Fußgängerweg zu gelangen. Radfahrer haben nur die Option, abzusteigen und ihr Rad auf dem Gehweg in Richtung Forum zu schieben oder umständlich über Hirnbein- und Königstraße zu fahren. Der untere Teil der Bahnhofstraße (ab der Beethovenstraße) wurde bereits vor einigen Jahren zur Fußgängerzone mit Freigabe für Fahrradfahrer umgewandelt – eine echte Bereicherung für die Aufenthaltsqualität und das Einkaufserlebnis. Hier herrscht ein buntes Treiben, Leute sitzen draußen auf Bänken und in Cafés, das Miteinander von Radfahrern und Fußgängern funktioniert problemlos. Eine Verlängerung der Fußgängerzone bis zum Forum drängt sich geradezu auf … In einem ersten Schritt, so unser Vorschlag, könnten zumindest die Abbiegemöglichkeiten für Autos beschränkt werden, damit es hier etwas übersichtlicher wird.

Unser nächster Stopp ist die Rückseite des Forums. Hier stellen wir fest, dass sämtlicher Autoverkehr, der aus dem Süden kommt, von der B19 direkt ins Zentrum geleitet wird. Oder, wie der renommierte Verkehrsexperte Heiner Monheim bei einem Besuch in Kempten feststellte: Wir „rollen dem Autoverkehr den roten Teppich aus“. Wir schlagen vor, den Verkehr so zu lenken, dass Autofahrer, die Kempten nur queren wollen, den Ring benutzen, statt mitten durch die Innenstadt zu fahren (dabei sollte das Tempo auf dem Ring auf maximal 50 km/h gedrosselt werden, um die Lärm- und Abgasbelastung der Anwohner zu reduzieren). Autofahrer, welche ins Zentrum wollen, sollten verstärkt dazu animiert werden, ihr Auto in einem der zahlreichen Parkhäuser abzustellen und die Stadt zu Fuß zu genießen.

Danach geht es weiter in die Königstraße, wo wir eine der für Radfahrer unangenehmsten und gefährlichsten Stellen in ganz Kempten passieren: Kurz nach der Kreuzung Mozart-/Königstraße, genau dort, wo die Straße enger wird, ist der Radweg plötzlich zu Ende und Radfahrer müssen sich in den von hinten kommenden Auto- bzw. Busverkehr einfädeln. Nach der flotten Fahrt bergab halten wir unten an der Kreuzung Königstraße/Beethovenstraße, wo ein letztes Mal Rollenkärtchen gezogen werden. Christian Schoch fand es als „Radfahrer“ einfach super, den Berg runterzusausen, Stefan Sommerfeld merkt als „Tourist“ an, dass er die Königstraße mit dem Kino und den vielseitigen Gastro-Angeboten toll findet, wundert sich allerdings über die wenig attraktive Gestaltung des „Ausgehviertels“ – ein paar Bäume würden die Straße deutlich aufwerten. Katharina Schrader freut sich als „Jugendliche“ über die breiten Gehwege, während Oberbürgermeister Kiechle als „Busfahrer“ beim Anblick des Radel-Trupps der fiktive Schweiß auf die Stirn getreten ist – schließlich hat er einen Fahrplan einzuhalten …

Dann werfen wir einen kritischen Blick auf die Kreuzung: Ein Radfahrer, der geradeaus in die ZUM weiterfahren will, hat keine Spur, wo er sich sinnvoll einordnen kann. Denn es gibt nur eine Links- und eine Rechtsabbiegerspur für Autos. Ein Radweg mit Aufstellfläche brächte hier Klarheit und Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer. Ein weiteres Problem an der Kreuzung sind Autos, die von der Beethoven- in die Königstraße rechts einbiegen und dabei geradeaus fahrende Radfahrer übersehen, wie eine der Teilnehmerinnen aus eigener leidlicher Erfahrung berichtet. Auch über städtebauliche Themen wird diskutiert, denn einige der schönsten Villen Kemptens stehen entlang der vielbefahrenen Beethovenstraße. Weniger Verkehr, mehr Bäume und vor allem breitere Radwege würden diese Straße deutlich aufwerten, merkt der Freundeskreis an.
Man könnte an dieser Kreuzung noch viel weiterdiskutieren, aber nach eineinhalb Stunden intensivem Austausch wollen wir langsam zum Ende kommen und so radeln wir zum Rathaus, unserer letzten „Haltestelle“. Die Kronenstraße war eine der meistgenannten Stellen bei unserer Aktion „Sicher mobil in Kempten“. Den Wunsch, hier besonders bei Veranstaltungen häufiger zu sperren oder die Durchfahrt überhaupt nur noch für Anwohner und Lieferverkehr zu ermöglichen, geben wir unseren Gästen noch auf den Weg, dann verabschieden wir uns. Abschließend sei gesagt: Wir als Veranstalter hatten vermutlich genauso viel Spaß wie unsere Mitradler. Das Konzept, die Perspektiven zu wechseln, war unglaublich bereichernd und hat für so manchen Lacher gesorgt. Bleibt zu hoffen, dass die Radtour nicht nur Denkanstöße geliefert hat, sondern auch die ein oder andere Veränderung bewirkt.
