Vor gut zwei Wochen, am 14. April 2021 wurde im Klimabeirat der Stadt Kempten die neu erhobene CO2-Bilanz vorgestellt. Das Ergebnis wurde von den Mitgliedern des Beirats als auch von den Vertretern der Stadt ohne größere Nachfrage und Diskussion hingenommen, um zum nächsten Tagesordnungspunkt zu schreiten. Bei Verinnerlichung der präsentierten Sachverhalte erscheint mir dies gerade zu erschreckend. Warum? Kempten wurde 2012 als eine von 19 Städten bundesweit ausgewählt, um einen Masterplan 100% Klimaschutz bis 2050 zu erarbeiten. 2013 wurde der Plan zum Erreichen der CO2-Neutralität bis 2050 vom damaligen Stadtrat einstimmig verabschiedet. Der zugrundeliegende Plan zeigt, wie Kempten das Ziel bis 2050 erreichen kann, und welche Maßnahmen kurz und mittelfristig umgesetzt werden müssen. Dementsprechend müsste sowohl der Energieverbrauch, als auch die CO2-Emissionen jedes Jahr um eine ambitionierte Menge sinken. Kempten nahm den Klimaschutz als eines seiner strategischen Ziele auf und bezeichnet sich seitdem als „Vorzeigestadt im Klimaschutz“.

Die vorgestellten Zahlen aber sind in dieser Hinsicht alarmierend. Die erreichte CO2-Einsparung von 1,7 Tonnen pro Einwohner seit 2012 entspricht einer jährlichen Minderung um 1,6% pro Jahr.  Das klingt auf den ersten Blick ganz gut. Aber eben nur auf den ersten Blick. Zunächst handelt es sich um einen Einwohner-Wert. Seit 2012 sind die Einwohner in Kempten von ca. 65.000 auf ca. 70.000 gestiegen. Das bedeutet, dass sich die absolute CO2-Menge in Kempten weniger stark abgenommen hat. Weiter fällt auf, dass der tatsächliche Energieverbrauch im selben Zeitraum nur zwischen 3 und 4 % abgenommen hat. Der Ausbau der erneuerbaren Energie bei der Stromerzeugung stagniert weitestgehend seit 2012. Bei der erneuerbaren Wärmeerzeugung ist Kempten im Bundesvergleich zwar überdurchschnittlich, aber auch hier ist die Zunahme seit 2012 kaum sichtbar.

Betrachtet man diese Faktenlage nun im Hinblick auf die Ziele, die sich die Stadt Kempten mit dem Masterplan 100% Klimaschutz selbst gesetzt hat (welche im Übrigen zur Erreichung des Pariser Klimaabkommens nicht ausreichend sind und laut Ratsbeschluss vom Herbst 2019 entsprechend angepasst und verschärft werden sollen), dann wird hier eine Diskrepanz von mittlerweile 12,6% der CO2-Emissionen sichtbar. Dies bedeutet, dass die Stadt Kempten im Jahr 2018 ca. 70.000 Tonnen zu viel CO2 ausgestoßen hat. Dies ist keine Überraschung, da auch in den letzten Jahren bereits eine deutliche Lücke zum Ziel aufgetreten ist. Und diese Lücke wird mit jedem Jahr größer.

Das heißt im Umkehrschluss, dass die notwendigen Anstrengungen der Stadt beim Klimaschutz, mit jedem Jahr erheblich zunehmen. Seit 2013 ist bekannt, was getan werden muss, um den Klimaschutz in der Stadt effizient voranzutreiben. Seit dem Abkommen von Paris 2015 ist der Welt klar geworden, was notwendig ist, um die Erwärmung unter 2 Grad zu halten und der Klimaschutz zu einer epochalen Aufgabe wird. Und spätestens seitdem die Jugendlichen mit FridaysForFuture 2019 auf die Straße gegangen sind, wissen wir alle, dass wir nicht mehr weiter machen können wie bisher und uns die Zeit für ein Umsteuern davonläuft.  Das gilt auch für Kempten. Seit dem Masterplanbeschluss 2013 ist aber nur wenig passiert, wie man an der Entwicklung des Energieverbrauchs in der Stadt sehen kann. All die dicken Bretter, auf die im Masterplan hingewiesen wird, sind noch zu bohren. Das Mobilitätskonzept wurde 2017 beschlossen und auch hier stehen jetzt – 4 Jahre später – die großen Veränderungen noch immer aus. Zur Erreichung der Ziele des MOKO2030 bleiben uns nicht einmal mehr 9 Jahre. Wie soll das funktionieren, wenn im Klimabeirat und in städtischen Gremien nicht endlich die großen Maßnahmen angegangen werden, die „Kempten muss handeln“ fordert?

Wann, fragen wir uns, wird die Stadt endlich an den großen Stellschrauben drehen?