Besser spät als nie – endlich durften wir Bürger*innen uns einbringen: Am Montag, den 6.12.2021 fand in der „bigBOX“ die Bürgerbeteiligung für das neue Wohnquartier auf dem „Saurer-Allma“-Gelände am Engelhaldepark statt. Zunächst stellten die Wettbewerbs-Sieger „Architekten Hähnig+Gemmeke“ ihren Entwurf vor. Anschließend konnte man Anregungen für die zukünftige Bebauung abgeben. Eine Chance, die wir natürlich nutzten. Wer diesen Blog liest, weiß, dass wir die Planungen für das neue Quartier mit großem Interesse verfolgt haben. Zunächst die gute Nachricht: der Entwurf des Tübinger Architekturbüros ist (sehr) gut gelungen. (Bericht zu den Planungen im Kreisbote)
Was uns an daran gefällt:
- Sicherheitsabstände zum wertvollen Baumbestand sind eingeplant.
- Im Südosten des Areals ist eine Quartiersgarage vorgesehen. Der Vorteil gegenüber einer Tiefgarage ist, dass auf der umliegenden Fläche Baumbestand möglich ist. Hier soll eine „Mobilitätsdrehscheibe“ mit ÖPNV-Anbindung, Carsharing usw. entstehen. Für das Dach schlägt der Architekt Hähnig „Urban Gardening“ vor.
- Das Gelände wird „so autoarm wie möglich“, gut durchgrünt und „durchlüftet“.
- Das Nachhaltigkeitskonzept enthält viele wichtige Punkte, wie Regenwasser-Retentionsdächer, Bau nach dem „Schwammstadt“-Prinzip, Klimaresilienz. Versiegelungen sollen zurückgebaut werden.
Was wir verbesserungswürdig finden:
Wir können nicht nachvollziehen, warum das Quartier ans Fernwärmenetz angeschlossen werden soll. Diese auf Müllverbrennung basierende Energieerzeugung sollte für schlecht sanierbare Gebäude verwendet werden. Bei einem fünf Hektar großen Quartier, das neu geplant wird, wünscht man sich ein ambitioniertes, zukunftsweisendes Energiekonzept und den höchstmöglichen Energiestandard: Passivhausstandard oder innovative Lösungen im Sinne des Forschungsprojektes „Einfach bauen“ von Florian Nagler, gemeinschaftlich genutzte Biogasanlagen, Wärmepumpen, Erdwärme, PV-Anlagen mit Mieterstromnutzung… Die Energieversorgung dieses Viertels sollte autark und regenerativ sein!
Was uns sonst noch interessiert und auch nach der Veranstaltung noch nicht klar ist:
- Ist das Energiekonzept mit den Klimazielen Kemptens / den Pariser Klimazielen vereinbar?
- Welches Konzept gibt es für zirkuläres Bauen oder die Verwendung von recycelten Rohstoffen (Stichworte Cradle to Cradle und Urban Mining)? Herr Hähnig sagte mir im persönlichen Gespräch, dass das selbstverständlich ist. Es wäre natürlich hervorragend, wenn das stimmt. Allein, mir fehlt der Glaube.
- Die Förderung der Biodiversität ist ein zentrales Thema bei dem Entwurf. Flächen für bienenfreundliche Stauden und klimaresiliente Bäume sind geplant, nach Lebensräumen für Insekten sieht es aber eher nicht aus (Totholzhaufen, Trockensteinmauern und dergleichen). Hier könnten z.B. Blühbotschafter beratend tätig werden.
- Für die Planung gilt offenbar noch der veraltete Stellplatzschlüssel. Dieser soll im Rahmen des Klimaplans 2035 überarbeitet werden. Für das neue Quartier sollten dann entsprechend die neuen Vorgaben (weniger Stellplätze) gelten.
- Bauplätze für Bürgergenossenschaften sind aktuell leider nicht geplant. Von Bürgerseite wurden Clusterwohnungen / Co-Living-Angebote gewünscht. Ob diese Anregungen aufgenommen werden, ist unklar.
- Warum gibt es keine Sozialwohnungen in dem Quartier?
- Sind ausreichend Schulplätze für die Kinder der Familien, die einziehen werden, vorhanden?
Wir waren erfreut, dass sich außer uns noch viele weitere Besucher ein zukunftsfähiges, klimafreundliches Quartier mit einem zeitgemäßen Energie- und Mobilitätskonzept wünschen. Die Anregungen der Bürger*innen zeigten deutlich, dass umweltfreundliche Mobilität, Biodiversität und ressourcensschonendes Bauen und Wohnen DIE zentralen Themen unserer Zeit sind. Bleibt zu hoffen, dass die Politik und die Sozialbau dies als Aufforderung verstehen, der Nachhaltigkeit des Quartiers oberste Priorität einzuräumen!
(Gesine Weiß)