Mit dem Zug nach Großbritannien – ist das praktikabel und zumutbar? Wir – Mutter, Vater und zwei Kinder – haben diesen Sommer den Praxistest gemacht. Die Antwort lautet: Ja! Wir fanden es super und die elf Stunden Reisezeit vergingen wie im Fluge. A propos „im Fluge“: Es fühlt sich wirklich fast an wie Fliegen, wenn man ab Straßburg bis Paris im ICE (oder im TGV) mit 320 Stundenkilometern dahinsaust!

Doch eins nach dem anderen. Die wichtigste Erkenntnis beim Fahrkartenkauf: Früh buchen lohnt sich! Die Fahrkarten kann man bei der Deutschen Bahn etwa ein halbes Jahr (180 Tage) im Voraus online kaufen (jeweils ab dem Fahrplanwechsel im Juni und Dezember). Je später man bucht, desto teurer wird es. Leider macht einem die Deutsche Bahn das Buchen von Tickets direkt bis London nicht leicht. Deswegen haben wir die Tickets von Kempten nach Paris (Sparpreis) und von Paris nach London (Eurostar) separat gekauft. Die Ticketpreise für den Eurostar sind übrigens je nach Wochentag und Tageszeit unterschiedlich teuer; zu beliebten Terminen und bei kurzfristiger Buchung kann eine Fahrkarte um ein Vielfaches teurer sein als der „Normalpreis“. Man zahlt derzeit zwischen 44 € und 214 € für eine Standard-Fahrkarte.

On en voit plus quand on ne vole pas – Man sieht mehr (davon), wenn man nicht fliegt. (Eurostar-Werbung in Paris)

In gut drei Stunden schafft der Zug die Strecke von Stuttgart bis Paris Gare de l’Est. Lustigerweise braucht man fast genauso lang (mit etwas Zeitpuffer und ausreichend langen Umsteigezeiten), um von Kempten nach Stuttgart zu kommen … Vom Pariser Bahnhof Gare de l’Est muss man dann zum Gare du Nord wechseln: ein zehnminütiger Spaziergang (800 m), quasi immer geradeaus auf einer weitgehend autofreien Straße. Weitere Infos zum Check-in am Bahnhof Gare du Nord gibt es auf der Eurostar-Homepage.

Von dort geht es weiter mit dem Eurostar nach London. Da die Briten leider aus der EU ausgetreten sind, ist das Einreise-Prozedere recht aufwendig: Passkontrolle (man braucht einen Reisepass; der Personalausweis reicht nicht aus!), Taschenkontrolle, Sicherheitskontrolle mit Metalldetektoren, das volle Programm. Wir hatten ausreichend Puffer eingeplant und waren zwei Stunden vor Abfahrt des Zuges da. Eine Stunde hätte rückblickend gereicht – zumal die Mitarbeiter*innen in Paris Spätankömmlinge gezielt aus der Warteschlange holen und vorlassen. Doch es hätte 50 € pro Ticket gekostet, spontan auf den früheren Zug umzubuchen – das war es uns nicht wert.

Ankunft im feudalen Bahnhof St. Pancras International

In zweieinhalb Stunden düst man dann von Paris unter dem Ärmelkanal hindurch nach London St. Pancras International. Die Fahrt durch den 50 Kilometer langen Tunnel, der zwischen 40 und 70 Meter unter dem Meeresgrund liegt, hätte ich mir gruseliger vorgestellt. Letztlich ist es einfach nur eine Fahrt durch einen Tunnel, die man kaum zur Kenntnis nimmt.

In London selbst waren wir mit der Oyster Car2d unterwegs. Das ist eine Art Guthabenkarte für die Öffis, die man beliebig aufladen kann (mit Kreditkarte oder Bargeld). Die Oyster Card bekommt man am Automaten in den meisten größeren U-Bahn-Stationen, wo man sie auch auflädt. Achtung: Jede Person braucht eine eigene Karte (auch Kinder)! Kinder unter 11 Jahren fahren kostenlos, ältere Kinder zahlen 50% des Fahrpreises. Die Kinderkarten muss man von den Tube-Mitarbeitern freischalten lassen.

Von London ging unsere Reise dann weiter quer durch Süd-West-England: Nach Bath (mit Tagesausflügen nach Oxford, Gloucester und Lacock), von dort aus nach Penzance (an der Südspitze Cornwalls), weiter ins Dartmoor und schließlich wieder zurück nach London. Wir hatten die Reise so geplant, dass wir überall mit dem Zug hinkommen. Hilfreich war dafür die Übersichtskarte über das britische Gleisnetz.

Für die Zugreise durch Südwest-England kauften wir einen BritRail-Pass. Das ist eine Art Interrail-Ticket speziell für Großbritannien, nur etwas günstiger. Diesen gibt es in verschiedenen Varianten zu kaufen, zum Beispiel bei ACPRail. Man kann einzelne Landesteile auswählen (in unserem Fall BritRail South West Pass), die Anzahl der gewünschten Reisetage und ob diese hintereinander liegen sollen oder flexibel über einen Monat verteilt (in unserem Fall 8 Tage Flexi). Der Kauf der digitalen Variante war unkompliziert, wir bekamen postwendend den Link zugeschickt. Die jeweiligen Reisetage mussten wir dann nur noch „freischalten“. Mit dem Smartphone überhaupt kein Problem.

Für die Fahrplanauskunft gibt es verschiedene Anbieter, die manchmal abweichende Auskünfte bieten. Am besten nutzt man die offizielle Seite von National Rail Enquiries!

In Cornwall gab es ein sehr günstiges Bus-Ticket für die ganze Familie: Für 50 Pfund fuhren wir zu viert beliebig oft eine Woche lang Bus. Und das Busangebot war hervorragend! Von Erkundungsfahrten mit dem Fahrrad würde ich hingegen sehr abraten. Die Landstraßen sind extrem schmal und fast ausnahmslos von hohen Hecken gesäumt, die Autos (und Busse) fahren ziemlich schnell und Radwege gibt es gar keine.

Nach einer Woche in Penzance (keine Postkartenschönheit, aber eine authentische Stadt mit netten Ecken und vor allem ein super Ausgangspunkt für Ausflüge mit Bus und Bahn) ging es dann weiter ins Dartmoor: mit dem Zug nach Newton Abbott, von dort mit dem Bus nach Moretonhampstead; und dann mit einem weiteren Bus nach Chagford. Im Gegensatz zur Südspitze Cornwalls ist das Dartmoor mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum erschlossen. Wir schafften es zwar, mit einem der zwei täglich fahrenden Busse von Newton Abbot ins Dartmoor hineinzukommen und nach ein paar Tagen auch wieder raus nach Exeter. Aber innerhalb des Moors waren die Busverbindungen eine Katastrophe …

Unsere Heimreise von London nach Kempten ist fast einen eigenen Blogbeitrag wert, denn ausgerechnet an dem Tag fiel in München eine Oberleitung aus, was zum (Zug-)Verkehrschaos in ganz Süddeutschland führte. Die gesamte Fahrt von Paris nach Stuttgart war daher überschattet von Hiobsbotschaften – unser ICE von Stuttgart nach Ulm wurde beispielsweise gecancelt. Wir hatten allerdings das Glück, dass wir relativ spät unterwegs waren und das Schlimmste da wohl schon überstanden war. Und so fuhr zwar nicht der geplante ICE, sondern ein anderer (unklar war, wo die DB diesen ICE wundersamerweise hervorgezaubert hatte), mit einem sehr lustigen Zugführer, der die Reisenden mit der Durchsage begrüßte: „Ich darf hier gerade eigentlich gar nicht fahren, aber ich tu’s trotzdem.“

Schwer beeindruckt von dem beispiellosen Krisenmanagement der Bahn kamen wir doch noch pünktlich in Ulm an, erreichten locker unseren Anschlusszug nach Illertissen und den Schienenersatzverkehr weiter nach Kempten – wo uns der Busfahrer zum krönenden Abschluss der Reise spontan quasi vor der Haustüre aussteigen ließ!

Wer will schon in den Urlaub fliegen oder mit dem Auto auf verstopften Straßen herumgurken, wenn es so eine entspannte und zugleich erlebnisreiche Reiseform wie das Zugfahren gibt?!