Der ein oder andere Radfahrer reibt sich die Augen: Kempten wird demnächst mit dem Titel „fahrradfreundliche Kommune“ ausgezeichnet. Echt jetzt?! Nun, genau genommen hat die Stadt Kempten die Hauptbereisung der AGFK Bayern (Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen in Bayern e.V.) knapp und nur unter Auflagen bestanden.

Kempten, man höre und staune, ist Gründungsmitglied der AGFK. Die Mitglieder dieses 2012 gegründeten Netzwerks bayerischer Kommunen haben zum Ziel, fahrradfreundlich zu werden (z.B. durch Verbesserung von Infrastruktur und Verkehrssicherheit und die Etablierung einer „Radel-Kultur“). Sind bestimmte Kriterien erfüllt, dann bekommen die Kommunen die Auszeichnung „fahrradfreundliche Kommune in Bayern“ durch das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr verliehen.

Eine Jury beurteilte bereits 2014 in einer „Vorbereisung“ den Stand der Fahrradfreundlichkeit Kemptens und gab entsprechende Handlungsempfehlungen. Am vergangenen Montag (18.10.2021) fand nun endlich die „Hauptbereisung“ statt, in der entschieden wurde, ob Kempten die Auszeichnung bekommt. Die Bewertungskommission besteht aus einem Vertreter des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr, einem Vertreter des ADFC-Bayern und einem Mitglied des Vorstands der AGFK Bayern. Und ob man’s glaubt oder nicht: Kempten wird in Kürze besagter Titel verliehen. Dieser hat sieben Jahre Bestand, dann wird erneut geprüft.

Der ADFC-Kreisverband Kempten-Oberallgäu begrüßt die Entscheidung der Kommission. Vorab hatte eine Arbeitsgruppe des Verbandes in einem Fragebogen Stellung genommen. Die Stellungnahme endet mit dem Wunsch, „der Stadt Kempten klar und deutlich aufzuzeigen, was bisher versäumt wurde, und eine allerletzte Frist zu setzen, innerhalb derer sie fix formulierte Punkte umsetzen muss“. Man hofft darauf, dass – jetzt aber wirklich! – etwas vorangeht.

Zugegeben, mittlerweile wird das ein oder andere fahrradfreundliche Projekt umgesetzt: Wiesstraße (Überholverbot und Aufstellflächen), Bahnhofstraße (Umweltspuren), Madlenerstraße (Fahrradstraße), eine Markierung hier, Fahrradbügel dort. Die Verwaltung hat einen verbesserten Winterdienst in Aussicht gestellt und erarbeitet aktuell ein Radwegenetz. Doch ein eigenes Radverkehrsbudget im Finanzhaushalt ist dem Vernehmen nach nicht eingeplant. Und die richtig dicken Bretter im Zentrum, z.B. die Salzstraße, werden nicht gebohrt.

Die Kemptener Bürger*innen waren zuletzt weniger zuvorkommend in ihrem Urteil: beim bundesweiten ADFC-Fahrradklimatest landete Kempten mit der Note 4,39 in der Rangliste vergleichbarer Städe auf Platz 98 von 110. Soll man sich jetzt über die „Vorschusslorbeeren“ der AGFK-Kommission ärgern oder lieber darauf hoffen, dass sich die Stadt ins Zeug legt, um ihrem schönen neuen Titel gerecht zu werden?

Eins ist klar: Bis zur – wirklich – fahrradfreundlichen Kommune ist es noch ein weiter Weg.

(Gesine Weiß)