Ich möchte auf den Blogbeitrag Klimaallianz – Top oder Flop? von Gesine Weiß Bezug nehmen und einige (weitere) Gründe erklären, warum ich den Fokus auf das Instrument „Kompensation“ für einen problematischen, vermutlich sogar kontraproduktiven Weg halte, um unserer Verantwortung in der Klimakrise gerecht zu werden. Vorab: Ich denke, man muss zwischen “billiger” Kompensation im globalen Süden (wie bei der Klimaallianz Allgäu) und Kompensation direkt beim Verursacher (also lokal, zumindest in Deutschland) unterscheiden. Was ich hier schreibe, gilt hauptsächlich für den ersten Fall.

1) Zielverschleierung

Unstrittig ist, dass CO2-Neutralität der Zielzustand ist, den wir weltweit erreichen müssen. Wie im Blogbeitrag von Gesine Weiß zitiert: Die 10 reichsten Länder der Welt (also solche Länder, wo „kompensiert“ wird) sind für 2/3 der weltweiten Emissionen verantwortlich. Selbst wenn wir durch Kompensation den ganzen Rest der Welt CO2-neutral machen könnten (was illusorisch ist), blieben dann immer noch 2/3 der bestehenden Emissionen übrig. Es ist also klar, dass CO2-Neutralität tatsächlich „made in Germany“ sein muss und dazu ein Transformationsprozess notwendig ist, der sofort beginnen muss, weil uns die Zeit verdammt noch mal so was von davonläuft.

Also: Eigenes, drastisches Reduzieren ist durch nichts zu ersetzen! Die Botschaft, die beim Kompensieren transportiert wird, gibt der CO2-Neutralität aber eine neue, viel optimistischere und damit irreführende Bedeutung: „Vermeide und reduziere, soweit es eben geht, und wir stellen dich dann gegen Geld für den Rest der Emissionen ‚CO2-neutral‘. Und damit bist du schon am Ziel, herzlichen Glückwunsch… oh wenn doch alle so vorbildlich handeln würden wie du!“. Erst durch eine umständliche Erklärung, die so gut wie nie mitgeliefert wird, wird klar, dass das nur eine Übergangslösung ist, und ja eigentlich auch gar keine Lösung. Aber warum dann das Ganze, wenn man es wieder wegerklären muss, und wenn die sachlich richtige Bedeutung von CO2-Neutralität von einer weiteren Bedeutung überlagert wird, die nicht zur Lösung des Problems beiträgt?

2) Kontraproduktive Psychologie

Die psychologische Wirkung der Begriffe „Kompensation“ und „CO2-Neutralität“ ist doch klar –  eine Handlung, die klimatechnisch unakzeptabel ist, wird dadurch akzeptabel: Ich kompensiere ja immerhin. Das Gewissen wird entlastet, der Handlungsdruck, grundlegend zu transformieren, nimmt ab.  Im Folgenden möchte ich diesen zentralen Punkt genauer darlegen. Vergleichen wir dazu zwei Szenarien:

i) Wir handeln nach der besten Version des Kompensierens: Vermeiden, Reduzieren, Kompensieren. Gemeint ist, dass man zunächst bei den ersten beiden Schritten an die Grenze geht und dann eben kompensiert, was man weder vermeiden noch reduzieren kann.

Das Problem ist, dass man beim Klimaschutz eben über die Grenze gehen muss, denn als Grenze wird in der Praxis stets das „machbare innerhalb des Status Quo“ verstanden. Genau diese notwendige Grenzüberschreitung hin zur Transformation wird durch die Möglichkeit, zu kompensieren, vermieden oder verzögert.

Konkret: Wir treten der Allgäuer Klimaallianz bei, die uns erlaubt, die nächsten 10 Jahre finanziell gut leistbar auf eine vollständige Kompensation unserer Emissionen hinzuarbeiten. Wir reduzieren schon auch etwas, aber letztlich sind wir mit uns soweit im Reinen, dass wir die große Transformation, die in den nächsten 10 Jahren passieren muss, guten Gewissens verschlafen.
Und das bedeutet, verallgemeinert auf die westliche Welt, dass das 1,5°C-Ziel in sieben oder so Jahren definitiv tot ist, weil das verbleibende Budget dann überschritten sein wird.

Es ist doch klar: Wir werden aus Eigennutz, Angst vor Veränderung etc. alles versuchen, um tiefgreifende Veränderungen zu verzögern, eben weil diese disruptiv sein werden. Kompensation leistet aber genau solch einer (sehr verständlichen, unbewußt ablaufenden und menschlichen) Taktik Vorschub. Damit erweist sie dem Erreichen der Pariser Klimaziele einen Bärendienst.

ii) Stellen wir dies nun der Alternative gegenüber, dass Kompensation keine Option ist. Dann kommen wir ebenfalls – sehr schnell – an die oben genannte Grenze, haben aber nun nur zwei Optionen: Entweder wir setzen uns dem wachsenden Druck aus, zu handeln (oder uns einzuschränken), oder wir gehen tatsächlich über die Grenze und handeln transformativ.

Konkret: Angenommen, wir lehnen Kompensation als Handlungsoption für eigene Klimaschutzbeiträge ab. Dann bleibt nur die Konfrontation mit den eigenen, tatsächlichen Emissionen. Nur dann lässt sich argumentieren, dass der drastische Umbau von Städten, Infrastruktur, Energieversorgung sofort passieren muss, eben die hauseigene große Transformation. Nur dann lässt sich argumentieren, dass es keine Alternative zum Verzicht auf fast alle Flugreisen gibt etc.

Ich behaupte nicht, dass das dann auch alles so passiert; der Druck, das Notwendige zu tun, ist aber definitiv größer, wenn ich nicht die Möglichkeit habe, zu kompensieren. Bei Szenario i) dagegen ist von vorneherein das Spiel verloren.

3) Physische Reboundeffekte und Zeitverzögerung

Wie im Fachjournal Nature beschrieben, ist es zweifelhaft, ob die meisten Kompensationsmaßnahmen langfristig das CO2 einsparen können, mit dem man beim Einkauf der Maßnahme rechnet. Das Problem sind materielle Reboundeffekte, die schwer zu kalkulieren sind: Modernisiere ich etwa Kraftwerke in Afrika, dann wächst der Lebensstandard der Leute dort (das ist gut!). Aber wenn der Lebensstandard wächst, dann steigen auch die CO2-Emissionen. Das ist auch gut – Klimagerechtigkeit! – aber es führt dazu, dass in Summe unsere ursprünglichen Emissionen nicht zur Gänze kompensiert worden sind oder im schlechtesten Fall sogar zusätzliche Emissionen entstehen.
Weiter ist jede zeitverzögerte Einsparung bereits getätigter Emissionen nicht klimaneutral – Aufforstungsprojekte sind nur ein Beispiel dafür (neugepflanzte Bäume brauchen lange Zeiträume, bis sie nennenswerte CO2-Mengen einlagern können, siehe z.B. hier).

4) Ethische Dimension

An jedem Tag, an dem ich CO2 ausstoße, verursache ich damit über eine lange und indirekte Wirkungskette, die wir Klimawandel nennen, menschliches (und tierisches) Leid. Die Verantwortung für dieses Leid trägt der Verursacher. Die Idee, sie verkaufen oder verlagern zu können, ist ethisch nicht tragfähig. Genau das legt aber die Kompensationslogik nahe, zumindest wenn man Projekte im globalen Süden finanziert.

5) Eine Alternative zum Kompensieren existiert

Es gibt einen Grund, warum man das Verfahren, Geld für Klimaschutzprojekte im globalen Süden zu sammeln, ausgerechnet „Kompensation“ nennt. Der Begriff bietet eben ein Framing, das psychologisch bequem ist. Dies führt wiederum zu den beschriebenen psychologischen Rebound-Effekten des Nicht-Handelns, die das eigentliche Ziel der weltweiten CO2-Neutralität konterkarieren.

Ich plädiere daher dafür, das Framing zu ändern, ohne die finanzielle Unterstützung von Klimaschutzprojekten aufzugeben.

Warum nicht einfach spenden für Klimaschutz, aber ganz ohne Bezug zu unseren eigenen Emisssionen, die sich dadurch ja nicht verändert haben? Oder wir nennen das eine Klimagerechtigkeitsabgabe. Die ist dann selbstverständlich, weil wir damit der Tatsache Rechnung tragen, dass wir unseren Reichtum eben auch dem Neoimperialismus unserer Zeit zu verdanken haben – ohne die fatale Nebenwirkung, vom Ausmaß unserer eigenen Verantwortung abzulenken. Die positiven Wirkungen der Kompensation wären genauso da, aber die negativen würden wir vermeiden.

6) Kompensation ist gut…

…wenn sie hier stattfindet und wenn alle bei 3) beschriebenen Probleme berücksichtigt wären. Dann würde sie zur echten CO2-Neutralität von Kempten/Bayern/Deutschland beitragen. Freilich dann würden die Preise pro Tonne schnell in die Höhe schießen, weil die günstigen Projekte wie Aufforstungen etc. ganz schnell aufgebraucht wären. 10€ wie bei der Klimaallianz wären auf jeden Fall lachhaft. Aber dann wäre weder CO2 noch Verantwortung ausgelagert, wir könnten mit solchen Kompensationen die Energiewende vorantreiben und der Preisdruck würde bei allen Partnern transformative Maßnahmen anstoßen.

(Timo Körber)