Foto: Linus Nunner

Ein P-Seminar am Hilde hat die (Schul-) Radwegsituation in Kempten unter die Lupe genommen; präsentiert wurden die Ergebnisse am Montag (22.1.2024) im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema Radverkehr. In den vergangenen eineinhalb Jahren hatten die Schülerinnen und Schüler des P-Seminars „Verkehrsträger Fahrrad“ sich mit den verschiedenen Formen von Radwegen befasst, Routen zur Schule sowie mögliche Alternativen abgefahren, Bordsteine und Ampeln gezählt und kartiert, Gefahrenstellen dokumentiert und die Ergebnisse analysiert. Bei der Beurteilung der Routen konzentrierten sie sich auf drei zentrale Aspekte: Radwege müssen (sowie objektiv als auch subjektiv) sicher, schnell und bequem sein. Das Fazit des P-Seminars: Bei der Radweg-Infrastruktur Kemptens gibt es erhebliches Verbesserungspotenzial.

Das P-Seminar mit Seminarleiter Martin Wördehoff, Foto: Linus Nunner

Die Schülerinnen und Schüler des P-Seminars präsentierten ihr Projekt, moderierten durch den Abend und stellten passende Fragen an die Podiumsgäste. Auf dem Podium saßen Markus Wenninger (Schulleiter des Hildegardis-Gymnasiums), Lutz Bäucker (Vorsitzender des ADFC Kempten-Oberallgäu), Prof. Dr. Thomas Zeh (Professor für Elektrotechnik, Elektronik, Messtechnik und Sensorik an der Hochschule Kempten), Thomas Hartmann (Stadtrat Grüne), Stefan Sommerfeld (Mobilitätsmanager Kemptens), Thomas Landerer (Stadtrat Freie Wähler-UP) sowie Sascha Albrecht (Bayerischer Landesverband der Fahrschullehrer). Einige Schlaglichter aus der Diskussion:

Nach der Sinnhaftigkeit der Fahrradstraßen (Herren- und Madlenerstraße) gefragt, bemerkte Thomas Hartmann (richtigerweise), diese seien nicht ernstzunehmen – sie wurden dort installiert, wo es dem Autofahrer nicht wehtut. Dennoch sei es gut, dass es sie gebe und sie seien ein Schritt in die richtige Richtung. Für echte Veränderungen brauche es nicht nur politische, sondern auch gesellschaftliche Mehrheiten. Grundsätzlich sei eine Änderung der Mobilitätshaltung vonnöten.

Professor Thomas Zeh hat mit einer Gruppe Studenten einen Abstandsmesser für Radfahrer entwickelt und damit stichprobenartig die Überholabstände von Autofahrern gemessen. Er wies darauf hin, dass zu geringe Überholabstände die Unfallwahrscheinlichkeit erhöhen; allerdings passierten die meisten Unfälle an Knotenpunkten und Ausfahrten. Ein ausreichend großer Überholabstand sei unter anderem maßgeblich für die subjektiv empfundene Sicherheit beim Radfahren. Um den Radverkehrsanteil zu erhöhen, müsse man die 60% am Radfahren interessierten, aber skeptischen Menschen überzeugen; diese ließen sich jedoch nur dann zum Radfahren motivieren, wenn sie sich sicher fühlten.

Sascha Albrecht musste einräumen, dass sein Verband nicht viel mache, um die Toleranz gegenüber Radfahrern zu verbessern. Er distanzierte sich allerdings klar von „schwarzen Schafen“, die Fahrschüler richtiggehend gegen Radfahrer aufhetzen. In seinen Augen ist es schwierig, bei der praktischen Fahrausbildung gezielt auf Radfahrende einzugehen, da es immer Zufall sei, ob gerade einer des Weges komme oder nicht. Es stehe allerdings eine neue Fahrschüler-Ausbildungsverordnung im Raum, bei der mit Simulationen gearbeitet werde. Hier könne man dann gezielt Radfahrer „einbauen“. Hinzu komme, dass viele Fahrlehrer der Generation 55+ angehörten, für die Radfahren eher nicht so ein zentrales Thema sei. (Meine bescheidene Meinung dazu: auch in der Theorie könnte man die Fahrschüler für Radfahrer sensibilisieren und dezidiert Rücksichtnahme einfordern. Hilfreich wären vermutlich auch verpflichtende Fortbildungen für die Fahrlehrer.)

Mehrere Podiumsgäste, insbesondere Sascha Albrecht und Thomas Landerer, betonten, dass die gegenseitige Rücksichtnahme von Auto- und Radfahrern vonnöten sei. (Auch hierzu meine Meinung: gegenseitige Rücksichtnahme klingt so, als ob zwei gleichrangige Verkehrsteilnehmer aufeinandertreffen würden und als ob von Radlern die gleiche Gefahr für den Autofahrenden ausginge wie umgekehrt. Nur sind Autofahrer bekanntermaßen in einer Schutzhülle aus tonnenweise Blech unterwegs, während der Radfahrer keine Knautschzone hat.) Radfahrer und Autofahrer seien im Straßenverkehr gleichberechtigt, so Albrecht weiter.

Daraufhin kritisierte Schulleiter Wenninger: „Gleichberechtigt fühlt man sich, wenn man gleich behandelt wird. Das ist aber nicht der Fall. Bei Baustellen zum Beispiel wird oft keine Alternative für Radfahrer geboten“. Thomas Hartmann ergänzte: „Oft gibt es Schilder: Radweg-Ende – stellen Sie sich mal vor, man würde für Autofahrer ein Schild aufstellen: Straßen-Ende.“ Was für den Radler Alltag sei, sei im Autoverkehr undenkbar.

Mobilitätsmanager Stefan Sommerfeld wies darauf hin, dass Autofahren ein äußerst emotionales Thema sei, eine Kulturfrage, denn das gewohnte Verhalten vieler Leute werde „angekratzt“. Es seien vor allem Geld und politische Entscheidungen vonnöten, um bauliche Strukturen zu schaffen. Dann werde auch der Radverkehrsanteil steigen.

Zum Thema Autofahren als Kulturfrage gab es übrigens einen Buch-Tipp, den ich hiermit weitergeben möchte (ohne das Buch selbst gelesen zu haben): Stephan Rammler: Volk ohne Wagen – Streitschrift für eine neue Mobilität

Die Ergebnisse der P-Seminar-Arbeit wurden auf Roll-Ups in der Aula präsentiert und lieferten reichlich Diskussionsstoff für Gespräche im Anschluss an die Podiumsdiskussion: