Wenn im Kemptener Stadtgebiet Bäume gefällt werden, bekommen wir regelmäßig Mails von irritierten Bürgern, die wissen wollen: was ist da los? Kürzlich fielen zahlreiche Bäume für ein Bauprojekt an der Ellharter Straße der Kettensäge zum Opfer. Fakt ist: Die Fällungen sind genehmigt und durch den Bebauungsplan legitimiert. Dieser wurde eigens für das Bauprojekt geändert, damit hier überhaupt dreistöckig gebaut werden darf. Sämtliche Unterlagen des Stadtratsbeschlusses sind im Ratsinfoportal zu finden (Vorlage: 2020/61/949).

Laut Gutachten war ein Großteil der Bäume auf dem Grundstück (zum Teil sehr) erhaltenswert. Doch es ist ein Irrtum, dass Bäume erhalten werden, nur weil sie erhaltenswert sind: Von all den Bäumen bleibt nur ein einziger stehen. „Alle anderen Bäume sind nur hinweislich dargestellt und nicht geschützt“, so das Umweltamt. Dieses Amt hätte keine Handhabe gegen die Fällungen gehabt: Zuständig sind das Baureferat, der Oberbürgermeister und die Stadträte. Für den Laien kurz erklärt: Das Baureferat bereitet in Abstimmung mit dem Investor einen („vorhabenbezogenen“) Bebauungsplan vor. Im Bauausschuss wird die entsprechende Beschlussvorlage präsentiert und der Oberbürgermeister und die Stadträte stimmen darüber ab.

Die Verantwortlichen haben mehrheitlich beschlossen, dass gebaut werden darf. Es müsse nachverdichtet werden. „Den Belangen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung wird dadurch Rechnung getragen, dass Flächen neu beplant werden, die bereits innerhalb eines bebauten Siedlungszusammenhanges liegen. […] Außerdem sind […] eine Be- und Durchgrünung des Plangebietes sowie der größtmögliche Erhalt des Baumbestandes vorgesehen. Darüber hinaus können die Dachflächen zur Gewinnung von erneuerbaren Energien genutzt werden“, so das Stadtplanungsamt.* Freilich sollte sich die Stadt an ihren Rändern nicht immer weiter in die umliegende Natur fressen. Doch die Fällung des schönen Baumbestandes mitten in der Stadt macht viele Bürger fassungslos und wirft die Frage auf, ob es nicht auch anders gegangen wäre.

Was der Investor unter dem größtmöglichen Erhalt des Baumbestandes versteht, kann man in der Ellharter Straße besichtigen. Auch in Bezug auf weitere klima- und umweltrelevante Entscheidungen lässt man dem Investor freie Hand. Dabei gäbe es genug Instrumente, Klimaschutz planerisch umzusetzen: Auflagen zu Biodiversitätsförderung, Vorgaben für eine ökologischere Bauweise oder die Ausweisung eines Baufensters, welches den Baumbestand schützt. Es ist die Aufgabe der Stadträte, dies im Bauausschuss einzufordern! Bleibt zu hoffen, dass die Kronen- und Wurzelbereiche der Bäume im angrenzenden Hoeflmayr-Park durch die Bauarbeiten keinen Schaden nehmen. Für diese Bäume an der Ost- und Südseite des Grundstücks sind immerhin umfassende Baumschutzmaßnahmen vorgeschrieben.

Offensichtlich war neben der schieren Größe der Gebäude die Tiefgarage ein maßgeblicher Grund, dass die Bäume „weg mussten“. Das Problem ist: wer Wohnraum schafft, ist verpflichtet, für die Bewohner ausreichend Parkraum vorzuhalten. Dies ist in der Stellplatzsatzung festgelegt: bei Mehrfamilienhäusern ist das ein Stellplatz je Wohnung bzw. zwei Stellplätze ab 110 m². Man sollte im Stadtrat dringend diskutieren, ob diese Vorgaben noch zeitgemäß sind. Wer Parkplätze vorschreibt und ohne Augenmaß nachverdichtet, wird eine zugepflasterte, trostlose Stadt ernten, die sich im Sommer aufheizt. A propos Nachverdichtung: Kempten stellt im Vergleich zu anderen Städten überproportional viel Fläche für’s Parken zur Verfügung. Statt wertvolle Baumbestände zu vernichten, könnte man auch einige dieser Parkflächen in Wohnraum verwandeln.

Ein Begrünungskonzept als Baustein der Klimaanpassungsstrategie oder ein Projekt im Rahmen des „Bündnis klimaneutrales Allgäu bis 2030“, welches den städtischen Baumbestand als CO2-Speicher einbezieht, könnte die Situation verbessern. Mancher wertvolle Stadtbaum hätte dann vielleicht auch in Kempten einen besseren Stand.

* Siehe Begründung für die Änderung des Bebauungsplans, Vorlage 2020/61/949, Abschnitt 1.5.