Sehr interessant und kontrovers verlief die letzte Sitzung des Klimaschutzbeirats.
Dr. Petra Hausmann von der eza! stellte die aktuelle Treibhausgasbilanz der Stadt Kempten vor. Daraus geht hervor, dass wir in Kempten erst 29% unseres Stroms aus erneuerbaren Energieträgern beziehen. (1) Die Folie „Minderungspfad Klimaplan 2035“ zeigte zudem, dass die CO2-Emissionen, um deren Minderung es hier geht, nach einem Rückgang während der Pandemie im Folgejahr wieder gestiegen sind. Die Soll-Minderung der CO2-Emissoinen, die notwendig ist, um das Ziel Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen und die tatsächliche Ist-Minderung klaffen derzeit noch weit auseinander. Die aktuelle CO2-Minderung (etwa -2% pro Jahr) ist bei weitem nicht so groß, wie sie sein sollte, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Zudem scheint die erreichte Treibhausgasreduktion weitgehend auf der Verbesserung des bundesdeutschen Strom-Mix zu beruhen und nicht auf tatsächlichen Minderungen in der Stadt Kempten, wie der Anstieg des Endenergieverbrauchs zeigt (1). Die weitere notwendige jährliche Minderung muss nun bereits -9% pro Jahr betragen. Das bedeutet, dass die Anstrengungen der Stadt um ein Vielfaches gesteigert werden müssen.
Im Bericht zum internen eea-Audit 2023 wird beispielsweise als mögliche Maßnahme vorgeschlagen: Erneuerbarer Strom: Ökostrom eea-konform beschaffen, AÜW-Ziel 100% EE, PV-Ausbau intensivieren (Dach/FF) (3).Letzteres kann zum einen mit einem PV-Zubau auf allen dafür geeigneten Dächern und über Parkplätzen erfolgen. Und zum anderen mit dem dringend notwendigen Bau von Freiflächen-PV-Anlagen.
Um unsere EE-Ausbauziele zu erreichen, brauchen wir in Deutschland ca. 3-5% der landwirtschaftlichen Nutzfläche für Freiflächen-PV, wenn auch alle möglichen Dächer und Parkplätze mit PV belegt bzw. überbaut werden (2). Folglich müsste jede Kommune ca. 3-5% ihrer landwirtschaftlichen Flächen zur PV-Stromerzeugung nutzen. Wenn eine Kommune wie Kempten keine Windenergie erzeugen kann, muss prinzipiell mehr Energie aus PV produziert werden. Das darüberhinausgehende Defizit muss für einen städtischen Raum aus dem Umland gedeckt werden, um gerecht das Ziel der Klimaneutralität anzusteuern. Nach Aussagen der Experten im Klimaschutzbeirat wären dies für Kempten ca. 200 ha, die für Freiflächen-PV-Anlagen gebraucht würden.
Umso verwunderlicher ist deshalb, dass die Stadt im nächsten Tagesordnungspunkt den Entwurf eines Leitfadens vorstellte, in dem Freiflächen-PV-Anlagen nur auf privilegierten Flächen entlang der Autobahnen und Bahnstrecken sowie Agri-PV an Hofstellen beschränkt werden sollen. Dies sind die Mindestflächen, die der Gesetzgeber fordert. Nach diesem Ansatz könnten theoretisch ca. 180 ha mit Freiflächen-PV-Anlagen bebaut werden (4). Das Problem der privilegierten Flächen ist aber, dass die räumlichen Gegebenheiten sowie die nicht vorhandenen Anschlussmöglichkeiten an die Einspeisepunkte nicht überall für Freiflächenanlagen sprechen. Agri-PV an Hofstellen erscheint aktuell generell als wirtschaftlich unattraktiv, so dass wenig Nachfrage vorhanden ist. Daher gäbe es bis jetzt auch noch keine Anträge von Investoren für Freiflächen-PV-Anlagen auf den privilegierten Flächen, räumte Herr Eggert vom Stadtplanungsamt ein, während für nicht-privilegierten Flächen bereits Anträge für ca. 100 ha vorlägen.
Die Mehrheit der Mitglieder des Klimaschutzbeirates empfiehlt daher, Freiflächen-PV auch außerhalb der privilegierten Flächen zuzulassen und stattdessen einen Kriterienkatalog als Entscheidungsgrundlage für die Genehmigung zu erarbeiten. Es gibt bereits zahlreiche Gemeinden im Allgäu, welche einen solchen Kriterienkatalog anwenden. Hier muss die Stadt Kempten das Rad nicht neu erfinden, sondern kann sich auf Bestehendes stützen und damit den Vorgang erheblich beschleunigen.
Wenn es die Stadt Kempten mit ihrem Klimaplan 2035 wirklich ernst meint, kann sie nicht weiter auf Zeit spielen und zukünftige Evaluierungen darüber abwarten, ob auf den privilegierten Flächen genug PV-Anlagen entstehen oder nicht.
Quellen:
(1) UPDATE ENERGIE- UND TREIBHAUSGAS-BILANZ, Präsentation von Dr. Petra Hausmann, eza!, im Klimaschutzbeirat Kempten am 22.11.2023
(2) „Deutschland Klimaneutral – Was ist jetzt zu tun?“, Präsentation von Prof. Dr.-Ing. Steyer, Hochschule Kempten am 11.7.2023
(3) EUROPEAN ENERGY AWARD, Internes Audit 2023, Präsentation von Dr. Petra Hausmann, eza!, im Klimaschutzbeirat Kempten am 22.11.2023
(4) Räumliche Steuerung von Freiflächen-Photovoltaikanlagen im Stadtkreis Kempten (Allgäu), Präsentation von Florian Eggert, Stadtplanungsamt Kempten, im Klimaschutzbeirat Kempten am 22.11.2023