Kempten goes Paris! Oder doch nicht? Mit dem Klimaplan 2035 soll der CO2-Ausstoß Kemptens bis 2035 auf Null sinken – unser Beitrag, um die Klimaziele von Paris zu erreichen. Nach dem begrüßenswerten Beschluss des Klimaplans im Juli 2022 stellten Klimaschutzmanagement und eza! am Montag (19.9.22) im Klimaschutzbeirat das Arbeitsprogramm 2023/2024 vor. Es enthält 26 sogenannte Maßnahmen aus dem Klimaplan, die als erstes umgesetzt werden sollen (siehe ganz unten). Wir hätten uns mehr Mut zu echten Maßnahmen gewünscht und fordern die Verantwortlichen der Stadt in einem offenen Brief (s.u.) auf: Werden Sie konkret!
Fraglos stecken im Arbeitsprogramm viele Stunden Arbeit und Diskussionen. Es ist nicht einfach, ein mehrheitsfähiges Papier zu erstellen. Das erkennen wir an. Dennoch steht zu befürchten, dass wir mit diesem Arbeitsprogramm die gesetzten Ziele nicht erreichen.
1. Das Arbeitsprogramm ist äußerst vage
Es fehlen konkrete Termine und Projekte, die CO2-Reduktion ist praktisch nicht messbar. Stattdessen: „Neuaufstellung des Flächennutzungsplans“, „Umsetzung Mobilitätskonzept 2030“, diverse Veranstaltungen, Kampagnen, Förderprogramme und AGs. Alles sicherlich sinnvoll, aber was wir brauchen (und was wir von einem „Arbeitsprogramm“ erwärtet hätten), sind konkrete Maßnahmen, um den Treibhausgas-Ausstoß Kemptens drastisch und messbar zu reduzieren!
Wie die Umsetzung des Mobilitätskonzepts 2030 aussehen soll, bleibt beispielsweise unklar. Die ergänzende Absichtsbekundung „Die zeitnahe und vollständige Umsetzung des Mobilitätskonzepts wird mit Hochdruck vorangetrieben“ klingt super, macht’s aber nicht klarer. Im Arbeitsplan müssen konkrete Maßnahmen aus dem Mobilitätskonzept (Moko) festgelegt, priorisiert und mit Zeitplan versehen werden: Welche Radwege werden wann gebaut? Welche Straßen werden auf Tempo 30 beruhigt? Wo werden wann Fahrradstraßen neu errichtet? Insbesondere im Bereich Mobilität kann die Stadt direkten Einfluss nehmen und sehr schnell sehr viel bewirken. Konkrete Projekte wären z.B. Tempo 50 auf dem Ring, großflächige Tempolimits in der Innenstadt und die deutlicheErhöhung der Parkgebühren, um ein sicheres, durchgängiges Radwegenetz und ÖPNV zu finanzieren.
„Neue Gewerbegebiete werden möglichst klimaneutral geplant“, heißt es im Klimaplan (4.1.2.) – doch „möglichst“ ist ein dehnbarer Begriff. Die Stadt hat über die B-Planung und privatrechtliche Verträge die Möglichkeit, alle erforderlichen Vorgaben einzufordern und zu realisieren. Dr. Richard Schießl (Leiter des Referats für Wirtschaft, Kultur und Verwaltung) machte im Klimaschutzbeirat deutlich, dass es mit dem entsprechenden politischen Willen ohne Weiteres möglich ist, den anzusiedelnden Unternehmen Vorgaben zu machen. Bewerber gebe es in der Regel genug.
Auch die Aussagen zum Flächennutzungsplan (FNP) sind mehr als schwammig: „Themen wie die Minimierung des Flächenverbrauchs, Innenraum-Verdichtung und weitere klimarelevante Aspekte“ sollen „berücksichtigt“ werden. Diese Punkte müssen nicht nur berücksichtigt, sondern auch vor dem Hintergrund des Treibhausgas-Neutralitäts-Ziels quantifiziert werden: Der neue FNP muss klar definieren, wo ca. 30-50 Hektar Freiland-PV entstehen können, wo aus stadtklimatischer Sicht absolutes Bebauungsverbot herrschen muss, wo versiegelte Flächen für den Rückbau vorgesehen werden und wo das Stadtgrün in der Innenstadt ausgebaut werden kann.
Ein Widerspruch bleibt leider gänzlich ungeklärt: Punkt 18 (Ausbau der Fernwärme, also Müllverbrennung) „beißt sich“ mit Punkt 11 (Abfallvermeidung und Steigerung der Recyclingquote). Wie es funktionieren soll, Müll zu reduzieren und gleichzeitig die Fernwärme auszubauen, bleibt einstweilen das Geheimnis des ZAK.
2. Die Maßnahmen wurden gar nicht entsprechend priorisiert
Ausgewählt wurden – laut Klimaschutzmanager Thomas Weiß – im Prinzip Projekte, die sowieso schon laufen, die Erfolgserlebnisse versprechen oder machbar erscheinen. Die Erreichung der Klimaziele von Paris garantieren die ausgewählten Maßnahmen nicht. Limitiert sei das Arbeitsprogramm insbesondere durch Budget und Manpower. So verständlich das alles ist, die Herangehensweise ist wenig zufriedenstellend. Die Priorität muss auf den Maßnahmen liegen, die möglichst schnell möglichst viel bewirken! Auch wenn manches „radikal“ erscheint.Die „Climate Clock“ tickt! Radikaler wäre es, jetzt nicht zu handeln – angesichts der zu erwartenden Folgen.
Klar ist: Um den Klimaplan 2035 umzusetzen, muss die Stadt JETZT das entsprechende Personal einstellen und, noch viel wichtiger: Unser Oberbürgermeister sowie ALLE Stadträte müssen sich dazu durchringen, in den Gremien auch zu ihren hehren Bekenntnissen zu stehen (und zwar nicht nur im Klimaschutzbeirat und im Umweltausschuss, sondern insbesondere im Bau- und im Mobilitätsausschuss). Das heißt: konkrete Entscheidungen im Sinne von Umwelt- und Klimaschutz beschließen statt im „Ernstfall“ doch wieder Maßnahmen zu verweigern, zu verschleppen und aufzuweichen.
ALLE Stadträte (bis auf den AfDler und die beiden ehemaligen AfDler) haben sich – erfreulicherweise – zum Klimaplan 2035 bekannt. Damit aus den Worten auch Taten werden, muss das Arbeitsprogramm dringend nachgeschärft werden: Es muss klare Termine setzen und konkrete Projekte benennen, die messbar den Treibhausgas-Ausstoß senken – und dies auch klar kommunizieren. Wir brauchen ein Arbeitsprogramm, das Kempten ernsthaft auf den 1,5-Grad-Pfad bringt!
In unserem offenen Brief an die Verantwortlichen erläutern wir, bei welchen Punkten wir Nachbesserungsbedarf sehen, bevor das Arbeitsprogramm beschlossen wird:
Die 26 Maßnahmen des Klimaplan-Arbeitsprogramms 2023/24
- Wärmeversorgung städtischer Liegenschaften mit Erneuerbaren Energien (90% bis 2035)
- Erhalt des Gold-Standards beim eea (European Energie Award)
- Neuaufstellung des Flächennutzungsplans mit Bürgerbeteiligungsprozess
- Umsetzung Mobilitätskonzept 2030
- Klimaschutzprojekte in Kindergärten
- Klimaschutzprojekte in Schulen
- Kompensation von unvermeidbaren Emissionen
- Klimaneutrale Neubaugebiete
- Impulse zur Altbausanierung
- Kampagne „Check dein Haus“
- Abfallvermeidung und Steigerung der Recyclingquote
- Ausrufung „Jahr der Nachhaltigkeit“ 2023 in Kempten mit Veranstaltungen
- Klimaneutrale Gewerbegebiete
- CO2-neutrale Quartiere
- Kampagne für klimaneutralen Lebensstil
- Aktualisierung Treibhausgasbilanz
- Solaroffensive (Förderprogramm für private PV-Anlagen)
- Ausbau Fernwärmenetz, zunehmende Umstellung Spitzenlast auf EE
- Prüfung der Klimawirksamkeit von Stadtratbeschlüssen (leider ist hierfür immer noch kein System vorhanden geschweige denn implementiert…)
- Erstellung eines Energienutzungsplans
- Strategie für 100% erneuerbare Stromversorgung durch das AÜW
- Umsetzung Klimaplan 2035
- Ausbau der Solarstromerzeugung auf städtischen Dächern
- Koordination einer Arbeitsgruppe zur Klimawandelanpassung
- Koordination einer Azubi-Klimaschutzgruppe in der Stadtverwaltung
- Nachhaltige Beschaffungspraxis
(Details siehe Ratsinfoportal)